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Fallbericht: Wenn Flugangst keine ist

Wie eine VR-Exposition ein verdrängtes Kindheitstrauma aktivierte

Hintergrund und Vorstellung der Patientin

Eine Frau Mitte 40 stellte sich mit dem Wunsch vor, ihre ausgeprägte Flugangst zu behandeln. Obwohl sie noch nie geflogen war, löste allein der Gedanke an eine Flugreise intensive Angstzustände aus. Der Auslöser für ihren Therapiewunsch war ein bevorstehendes Konzert ihrer Lieblingsband im Ausland, zu dem sie gemeinsam mit ihrem Sohn reisen wollte. Als alleinerziehende Mutter empfand sie es zudem als belastend, ihm diese Erfahrung bislang vorenthalten zu haben.

Therapeutisches Vorgehen

Nach einem beziehungsaufbauenden Erstgespräch wurde im Rahmen der Vorbereitung das VRET-System Lab E virtuallythere genutzt, um geeignete Expositionsszenen zum Thema „Fliegen“ auszuwählen. Das System bietet eine modulare Szenenstruktur, die es ermöglicht, spezifische Etappen einer Flugreise gezielt auszuwählen – etwa: Check-in, Sicherheitskontrolle, Boarding, Sitzplatzsuche, Start, Flug mit/ohne Turbulenzen, Landung.

Zunächst wurden diese Stationen in sensu (gedanklich) durchgegangen. Dabei zeigte die Patientin zunächst keinerlei Angstreaktionen, auch nicht bei der Vorstellung des Einsteigens ins Flugzeug. Eine erste Irritation zeigte sich lediglich beim Gang durch die Gangway – diese löste ein diffuses Unbehagen aus, ohne dass die Patientin dieses konkret begründen konnte.

VR-Exposition und emotionale Reaktion

In der nächsten Sitzung erfolgte die Exposition mithilfe einer VR-Brille. Der Therapeut wählte zunächst eine standardisierte Flugszene ohne Zwischenereignisse. Die Patientin reagierte neutral bis interessiert, stellte technische Fragen zur Kabine und zeigte keine Anzeichen von Angst – auch nicht bei einer anschließenden Szene mit moderaten Turbulenzen.

Erst als sie aus dem verfügbaren Modulangebot eigenständig eine Szene auswählte, die das Warten in der Gangway und das Betreten des Flugzeugs zeigte, traten deutliche Angstreaktionen auf. Das VT-System von virtuallythere biete hier eine real gefilmte Boarding-Situation mit originalgetreuem Sound, Wartegeräuschen und Engegefühl. Die Patientin zeigte plötzlich körperliche Stresszeichen: gerötete Haut, Zittern, Schweißausbrüche. Beim Betreten des Flugzeugs steigerte sich dies zu einer Panikattacke.

Dank zuvor eingeübter Entspannungstechniken und therapeutischer Unterstützung gelang es ihr jedoch, die Situation auszuhalten und zu bewältigen.

Nachbesprechung: Aufdeckung verdrängter Inhalte

In der Nachbesprechung wurde deutlich, dass die Patientin gar keine klassische Flugangst im eigentlichen Sinne hatte. Durch die intensive VR-Exposition wurde eine verdrängte Kindheitserinnerung aktiviert. Die Patientin beschrieb spontan Bilder aus ihrer Kindheit: Sie erinnerte sich an eine längst vergessene Flugreise mit der Familie zu einer Mittelmeerinsel. Während dieses Urlaubs erkrankte sie schwer. Am letzten Urlaubstag hatten ihr die Eltern zudem mitgeteilt, dass ein Umzug bevorstehe – ein Ereignis, das sie als tiefen Einschnitt und Verlust ihres damaligen sozialen Umfelds erlebte. Diese Erlebnisse hatte die Patientin bis dahin vollständig verdrängt. Die VR-Exposition aktivierte die emotionale Verknüpfung zwischen der spezifischen räumlichen Situation (Gangway/Flugzeug) und dem damaligen Trauma.

Ausblick

Nach der Exposition konnte die Patientin die erlebten Emotionen zeitlich einordnen und kognitiv differenzieren. Die als „Flugangst“ bezeichnete Symptomatik wurde damit entkoppelt – in der Folge zeigte sich kein erneutes Angstverhalten bei weiteren Expositionsversuchen. Sie plant, noch vor Weihnachten eine Testflugreise mit ihrem Sohn zu unternehmen. Die Therapie wird fortgesetzt, um mögliche emotionale Nachwirkungen weiter zu bearbeiten.

Fazit

Der Fall zeigt, wie hilfreich real gefilmte VR-gestützte Expositionen sein können – nicht nur zur gezielten Konfrontation mit Angstinhalten, sondern auch zur Differenzierung von Angstauslösern, bzw. wie in diesem Fall zur Differenzierung echter Phobien von traumabezogenen Reaktionen. Die modulare Auswahlmöglichkeit im VT-System unterstützt bei Diagnose und individueller Anpassung der Reize.

Quelle: Silvester Schmidt, Heilpraktiker für Psychotherapie - www.psych-si.de 

Hinweis zur Technik:

Das verwendete VT-System von virtuallythere ermöglicht durch seine Strukturierung der VR-Videothek eine feinstufige Auswahl von Situationen in über 60 psychotherapeutischen Diagnosevarianten. Die praktische Nutzbarkeit wurde im Therapieverlauf als positiv eingeschätzt, da die Patientin selbständig Szenen auswählen konnte.