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VR-Expositionstherapie: Erstattungsoptionen und aktuelle Fachdiskussion

Die Virtual Reality-gestützte Expositionstherapie (VRET) gewinnt zunehmend an Bedeutung in der Behandlung von Angststörungen. Immer mehr Forschungsergebnisse, Leitlinienempfehlungen und klinische Erfahrungsberichte stützen ihren Einsatz. Doch trotz überzeugender Wirksamkeit gestaltet sich die Erstattungslandschaft in Deutschland noch uneinheitlich.

Aktuelle Erstattungslage in Deutschland

Gesetzliche Krankenversicherung (GKV)

Die Aufnahme der App Invirto in das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) durch das BfArM markiert einen Meilenstein: Sie ist derzeit die einzige VR-basierte Therapie, die vollständig von gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird. Zugelassen ist sie für Patient:innen zwischen 18 und 65 Jahren mit Agoraphobie, Panikstörung oder sozialer Phobie.

Einzelne Krankenkassen gehen bereits darüber hinaus. So erstattet z. B. die Techniker Krankenkasse seit 2024 VR-gestützte Rehamaßnahmen mit dem CUREO®-System in der neurologischen Nachsorge. Weitere Anbieter wie die BKK Pfalz, AOK Sachsen-Anhalt oder die Innovationskasse unterstützen VR-basierte Angebote im Rahmen selektiver Verträge. Allerdings bleibt der breite Zugang außerhalb von regionalen oder DiGA-Angeboten limitiert: Therapeut:innen oder Patient:innen müssen bei einer nicht gelisteten VR-Therapie die Kosten selbst tragen.

Private Krankenversicherung (PKV)

PKV-Versicherte haben bessere Zugangsmöglichkeiten: Die Kostenübernahme durch private Kassen ist bei entsprechender Indikation meist möglich – insbesondere bei spezifischen Phobien oder Panikstörungen. Dabei reicht oft ein ärztliches Attest oder ein psychotherapeutisches Gutachten zur Begründung der Notwendigkeit. Einige Anbieter ermöglichen zudem flexible Erstattung nach Analogziffern oder im Rahmen individueller Vereinbarungen.

Wissenschaftliche Evidenz und Empfehlungen


Die S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen gibt klare Empfehlungen:

  • Bei spezifischen Phobien soll VR-Exposition angewandt werden, wenn eine klassische In-vivo-Exposition nicht möglich ist.
  • Für soziale Phobie kann VR ergänzend zur Standardpsychotherapie eingesetzt werden.
  • Für Panikstörung und Agoraphobie wird VRET aktuell nicht explizit empfohlen, da hier bislang keine ausreichende Evidenzlage besteht.

Diese differenzierte Haltung spiegelt auch den Forschungsstand wider. Sie fordert aber gleichzeitig weitere klinische Untersuchungen.

Aktuelle Studienlage

Zahlreiche Metaanalysen stützen die Wirksamkeit von VRET:

  • Eine systematische Übersicht (Goncalves et al. 2025) über 21 Studien und 153 Artikel zeigt, dass VRET vielversprechende Resultate liefert, insbesondere bei Panik, Agoraphobie und PDA.
  • In einer weiteren Analyse (Tsamitros et al., 2023) wurden vergleichbare Effekte zu klassischer In-vivo-Exposition festgestellt.
  • Für soziale Phobie bleiben die Ergebnisse teils uneinheitlich. Manche Studien zeigen gleichwertige Ergebnisse, andere eine geringere Effektstärke im Vergleich zur In-vivo-Methode.

Spannend: Neue Studien (z. B. DRKS00031326) erweitern derzeit den Einsatz auf ambulante Settings, während Projekte wie DRKS00035351 die Anwendung bei Borderline-Persönlichkeitsstörung evaluieren – ein Hinweis auf die zunehmende Ausweitung des Einsatzgebiets von VR in der Psychotherapie

Fachdebatte: Chancen und Hürden

Therapeutische Vorteile

Fachgesellschaften und Praktiker:innen betonen die Vorteile von VR-Therapie:

  • Kontrollierbarkeit und Wiederholbarkeit der Exposition
  • Feinjustierung der Angstintensität in Echtzeit
  • Niedrigere Hemmschwelle für Patient:innen
  • Motivationsförderung durch einfachen Zugang zur Exposition
  • Planbarkeit und Einsatz auch bei Mobilitätseinschränkungen

Gerade bei Patient:innen mit schwerer Agoraphobie oder hoher Rückzugsneigung ist VR häufig ein Türöffner für erfolgreiche Therapieprozesse.

Barrieren für die Umsetzung

Trotz vieler Vorteile bestehen nach wie vor Herausforderungen:

  • Kosten für Hardware und Software
  • Mangel an Schulungsangeboten für Fachkräfte
  • Unklarheiten in der Abrechnung
  • Fehlende Standardisierung der VR-Szenarien
  • Rechtliche Unsicherheiten hinsichtlich Datenschutz und Dokumentation

Diese Punkte sind mitverantwortlich dafür, dass viele Praxen den Einstieg in die VR-Therapie noch scheuen – obwohl Patient:innen zunehmend offen sind.

Zukunftsperspektiven: Digitalisierung als Treiber

Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz wurde ein struktureller Rahmen für digitale Innovationen geschaffen. Weitere VR-basierte Anwendungen befinden sich in Entwicklung, sowohl für Angststörungen als auch für Depressionen, chronische Schmerzen und psychosomatische Beschwerden.

Experten plädieren für integrierte Therapieformen, bei denen VR nicht als Ersatz, sondern als ergänzendes Modul zur Standardpsychotherapie genutzt wird. Besonders vielversprechend sind Kombinationen mit Biofeedback, Achtsamkeitstraining oder EMDR – etwa zur Stabilisierung in der Traumatherapie.

Fazit

Die Virtual Reality-Expositionstherapie ist grundsätzlich wirksam, anerkannt und technisch ausgereift, doch der Weg in die Regelversorgung ist noch nicht vollständig geebnet. Während DiGA-zertifizierte Angebote erstattungsfähig sind, bleibt der Zugang gesetzlich Versicherter zu VR-Anwendungen beschränkt.

Mit wachsender Evidenz, zunehmendem Patienteninteresse und gezielten Investitionen in Infrastruktur und Schulung ist jedoch zu erwarten, dass VR-unterstützte Psychotherapie in den kommenden Jahren ein selbstverständlicher Teil der psychotherapeutischen Versorgung werden wird.